ROCHUS AUST
SUITCASING RESONANCE

Do 03.11.2016 · 19.00h
Kunst-Station Sankt Peter · Jabachstr. 1 · 50676 Köln

1. DEUTSCHES STROMORCHESTER
Rochus Aust · Komposition · Mühlen/Laubsauger/Trompete
Heinz Friedl · Staubsauger/Schleifer/Mixer/Bassklarinette
Florian Zwissler · Synthesizer/Schallplattenspieler/Orgel
Aziz Nadif · Klangkoffer/Stimme/Geräte
Markus Hennes · Klangkoffer/Stimme/Geräte
Tobias Hartmann · Bohrer/Laubsauger/Schallplattenspieler
Marija Kandic · Akkordeon/Klangkoffer/Geräte
Markus Aust · Klangdesign ·Dosenöffner/Hawaii-Gitarre


Vietnam Anfang der 1990er: Während eines Meisterkurses an der Musikakademie Saigon, an der ich u. a. vietnamesische Trompeter in Joseph Haydns Trompeten Konzert Es-Dur unterrichtete, wurde uns erst auf mehrmalige Nachfrage ein Ensemble mit vietnamesischer Musik präsentiert. Ja, man müsse auch eine Abteilung mit vietnamesischer Musik und vietnamesischen Instrumenten führen...

Zentralasien Ende der 1990er: Auf einer Konzertreise durch Kasachstan, Tadjikistan, Usbekistan, Kirgistan und Turkmenistan traktierten uns unsere usbekischen Busfahrer mit stundenlanger Musik-Beschallung der Gruppe Modern Talking. Dort offensichtlich der "letzte Schrei" und erst recht eine deutsche Band, das hätte uns doch gefallen müssen...


POSTKOLONIALE PROBLEMATIK?
Die wohl stärkste kulturelle (Selbst-)Kolonialisation durch die europäische Klassische Musik, später und stärker dann durch die internationale/globale Rock- bzw. Pop-Musik ist nicht nur das Echo einer vereinfachten barocken Affektenlehre, sondern vor allem eine enorme emotionale Reduzierung auf ein "fröhlich oder/und traurig", auf eine totalitäre Harmonik, auf DUR und MOLL. Die gute Nachricht: wir können alle zusammen überall auf die gleiche (selbe) Musik tanzen. Die schlechte Nachricht: nicht nur Vielfältigkeiten gehen unwiederbringlich verloren. Und noch eine Nachricht: große Teile der Menschen (kolonialisiert oder nicht-kolonialisiert) drücken ihre eigenen Emotionen inzwischen durch vereinfachte Songs aus.

In der Emanzipation von Dur und Moll in kleinen Teilbereichen der westlichen Musik nach dem 2. Weltkrieg hätte die Haltung gegen eine musikalische Weltkolonialisation der (westlichen) Harmonik zumindest auf der Ebene der so genannten "Ernsten Musik" nachhaltig wirken können. Allein der "Markt" kassierte diese Haltung, indem er formale Elemente zwingend einforderte: mehrheitlich westliche (klassische) Instrumente und Besetzungen, ausländische aber klassisch orientierte Komponisten, wenn exotisches Kolorit, dann aber in kurzer Zeit von westlichen Musikern einigermaßen (zumindest für ein westliches Publikum glaubhaft) umsetzbar. Und so haben wir selbst dort, wo die Harmonik lange Zeit ausgeklammert wurde, musikalisch- kolonialisierende Grundvoraussetzungen in Struktur und Produktion.

RESONATING SUITCASE spürt diesen Vorgängen nach, spürt sie auf und gibt den Schattierungen Raum. Drückt sich schon heute die national-emotionale Identität in globaler Musik/Harmonik aus? Welche Ausdrucksweise erzeugt ein besseres Verständnis untereinander oder ein besseres Verstehen zumindest in der Sache? Fühlen sich die Menschen zu musikalischer Schizophrenie gezwungen, wenn sie in Deutschland/Europa (über)leben wollen? Ausgangspunkt sind individuelle musikalisch-akustische Fragmente jeglicher Art, die vorab von Menschen verschiedenster Nationalitäten in Köln gesammelt wurden. Diese ausgewählten spezifischen Musiken, Klänge oder Geräusche, die ihren „Besitzern“ besonders am Herzen liegen, spiegeln deren Herkunft und ggf. ihre individuellen Lebensverläufe. Sie sind frei gewählter emotionaler Ausdruck der Bewahrung persönlicher Identität. Die individuellen Klangfragmente/Identitätsmusiken werden zwischen den Polen historischer Harmonik und modernster Maschinenmusik verortet. Eingeschlossenes wird geborgen, Ausgespartes ergänzt. Dabei treten frappierende Ähnlichkeiten genauso zu Tage, wie krasseste Gegensätze. Vermeintliche Unvereinbarkeiten werden auf einen gemeinsamen Nenner zurückgeführt und sicher geglaubte Strukturen zeigen tiefe Brüche.

Mutiert die barocke Affektenlehre zur Maßeinheit, der Sampler zum Messinstrument und der Begriff Heimat zu einer prozentualen Rezeptur? Naive Versuchsanordnung im experimentellen Migrationslabor oder treues Souvenir auf dem verstaubten Dachboden der täglichen Selbstbehauptung?

SUITCASING RESONANCE ist der Versuch einer Antwort darauf, inwieweit sich ein Unterschied zwischen den Nachfahren der Kolonialisierten und den Nachfahren der Kolonialisten in Klang und Harmonik abbildet, annähert oder/und auflöst.